WISSENSCHAFTLICHE
UNTERSUCHUNG
IM RAHMEN DES
THEMIS-EXPERIMENTS
Das Themis-Experiment war eine einmalige Gelegenheit, um ein innovatives Beteiligungsverfahren in der Praxis testen zu können. Eine zentrale Frage für die wissenschaftliche Bewertung von Themis war, wie gut Menschen das Verfahren verstehen und nutzen können, um ihre Präferenzen zum Ausdruck zu bringen. Beteiligungsverfahren bergen laut Projektleiter Jonathan Rinne von der Universität Frankfurt die Gefahr, den politischen Einfluss der höheren Bildungsschichten überproportional zu erweitern. Damit könnte eine formale Ermächtigung der Bevölkerung gleichzeitig das demokratische Ideal der politischen Gleichheit unterminieren. Dementsprechend wurde im Themis-Experiment ebenfalls untersucht, ob Bildungsschichten Themis unterschiedlich gut nutzen können, um ihre Präferenzen auszudrücken. Andersherum gefragt wurde untersucht: Wie präzise bilden die Themis-Wahlergebnisse die Präferenzen der breiten Bevölkerung ab?
Um diese Fragen zu beantworten, gab es im Experiment Fragebögen, in denen zum einen die Präferenzen der Teilnehmerinnen und Teilnehmer zu den Themen auf dem Stimmzettel erfragt wurden, und zum anderen wurden Daten zum Bildungsabschluss erhoben – im Sinne einer geheimen Wahl natürlich vollkommen anonymisiert. So konnte für jeden Teilnehmenden berechnet werden, wie stark der Stimmzettel mit den im Fragebogen angegebenen Präferenzen übereinstimmt.
Um den Grad der Übereinstimmung einordnen zu können, ist ein Vergleichswert hilfreich. Daher wurden im Experiment zudem zwei Experimentalgruppen gebildet: Ein Teil der Teilnehmenden wählte direkt mit Themis, ein anderer konnte zunächst nur zwischen starren Parteilisten auswählen und erst zum Schluss mit Themis wählen. Durch die Daten zur Bildung konnte dann im nächsten Schritt kontrolliert werden, ob es Unterschiede zwischen dem Grad der Übereinstimmung der Stimmzettel gibt, die im Zusammenhang mit den jeweiligen Bildungsabschlüssen stehen.
Die Ergebnisse dieser Untersuchung führen zu einer sehr positiven Bewertung von Themis. Die hohe Nutzung von Kumulieren und Panaschieren deutet darauf hin, dass Themis von den Probanden angenommen wurde. Die Gegenüberstellung mit der Vergleichsgruppe zeigt zudem, dass die Teilnehmenden Kumulieren und Panaschieren zweckrational eingesetzt haben: Mit der Themis-Wahl konnten die Teilnehmenden im Schnitt ungefähr 10 Prozent präziser ihre Präferenzen zum Ausdruck bringen als mit einer klassischen Wahl von starren Programmlisten. Zudem gab es keine signifikanten Unterschiede hinsichtlich des Grades der Übereinstimmung zwischen den Gruppen nach Bildungsabschluss.
Dies war keineswegs zu erwarten, da Themis, vergleichbar mit Kommunalwahlen mit Kumulieren und Panaschieren, recht komplex ist. Auch das Alter war kein signifikanter Faktor für die Fähigkeit, mit Themis Präferenzen präzise auszudrücken – trotz der Nutzung eines Wahlcomputers. Das Experiment in Filderstadt belegt, dass sich theoretische Potenziale auch in der Praxis verwirklichen lassen und die Präferenzen der „breiten Bevölkerung“ zu einer Vielzahl von Themen in dem Verfahren abgebildet werden können.